JAZZ
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M arius Neset
LION
ACT/Edel CD
Young Lions hat man einst vollmun-
dig die nachfolgende Generation
junger Jazztalente genannt. Natür-
lich w ill Marius Neset m it seiner
neuen CD „Lion“ hier anknüpfen.
Tatsächlich zählt er auf dem Tenor-
und Sopransaxofon zu den wenigen
wirklich eindringlich neuen Stim -
men und bietet eine so virtuos ge-
konnte Performance, dass einem
die Ohren glühen. M it dem brillan-
ten Trondheim Jazz Orchestra, das
aus lauter individuellen Stimmen
zu bestehen scheint, macht Neset
nicht nur Helge Sunde oder Geir
Lysne nachdrücklich Konkurrenz.
Neset kann in großen, orchestralen
Zusammenhängen denken. Dabei
verzettelt er sich nie, sondern for-
dert in seinen engmaschigen Ar-
rangements einen steten Energie-
fluss ein.
Die Kraft eines M ichael Brecker
und die Raffinesse eines Jan Gar-
barek sagt der „Guardian“ Neset
schon jetzt nach. Aber der ist spie-
lerischer, auch nervös sprunghaf-
ter als der m ental dunkler timbrier-
te Garbarek. Zwar ist Nesets Album
streng durchkom poniert, anderer-
seits bietet es den Solisten immer
w ieder ausgreifende im provisato-
rische Freiräume. Neset verdich-
tet seine kompositorischen Ideen,
bietet gezackte, hüpfende und tan-
zende Linien auf, sorgt mit komple-
xen Rhythmen für Furore. M anch-
mal gibt es überdies Eigentümlich-
keiten, etwa ein hier und da m äan-
derndes Akkordeon, das geister-
haft wie ein musikalischer W ider-
gänger hoch oben über dem Ge-
schehen schwebt.
Rastlos ist diese Musik, in der
die erstklassige siebenköpfige
Bläsersektion (unter anderen Erik
Eilertsen an der Trompete, Daniel
Herskedal an der Tuba, Hanna Pauls-
berg am Tenorsax) die Themen dif-
ferenziert auffächert und überei-
nander schichtet. Die Frage nach
dem viel bem ühten Klischee der
elegisch nordischen Musik taucht
in dieser enervierenden Big-Band-
Vorstellung w ohltuenderweise gar
nicht erst auf.
Tilman Urbach
QL
MUSIK ★ ★ ★
★ ★
5 KLANG ★ ★ ★
★ ★
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Zählt zu den wichtigen neuen
Saxofonisten: Marius Neset
O
D inoSaluzzi Group
EL VALLE DE LA INFANCIA4 ^
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ECM/Universal CD________________________(62]
Im Kreise seiner Familienband be-
gibt sich Bandoneonvirtose Dino
Saluzzi auf einen Streifzug durch
die Volksm usik der Anden - ins
„Tal der Kindheit“, so der Titel. Um
die Achse „A mi padre y a mi hijo“
(„M einem
V ater
und
m einem
Sohn“) gruppiert er kleine Suiten,
die dem Volk, dem Volksfest oder
einer traditionellen M arienfeier im
bolivischen Cochabam ba („Urku-
pina“) gewidm et sind. In zumeist
eigenen Stücke greift er Folk-The-
men oder die synkopierten An-
den-Rhythmen auf und verwandelt
sie in moderne Kompositionen mit
einer Spur Jazz. Allein der Zusam-
menklang von Bandoneon und Gi-
tarren kann betören.
klm
MUSIK ★ ★ ★
★ ★
KLANG ★
★
★
★
M o n ty Alexander
HARLEM-KINGSTON
EXPRESS VOL.2 - THE RIVER ROLLS
Motéma/Membran CD
(65)
W er blitzschnell einen m usikali-
schen Trip von New York nach Ja-
m aica
untern ehm en
m öchte,
braucht dafür Monty Alexanders CD
„Harlem -Kingston Express“. Seit
Längerem befasst sich der durch
swingende Modern Jazz-Interpre-
tationen bekannt gewordene jam ai-
kanische Pianist mit Ska und Reg-
gae. Dazu gehören die den Groove
definierenden Beats, gepaart mit
wuchtigen Basslinien und scharfen
Gitarren-Riffs, über die Alexander
seine sonnigen Melodien setzt. Das
funktioniert bei Hits wie „The Har-
der They Come“ ebenso gut wie bei
seiner lässigen Version des „Con-
cierto de Aranjuez“.
G.F.
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
★ ★
Sonny Rollins
ROAD SHOWS VOL J
OKeh/Sony CD___________________________ (73}
Es ist ein wenig so wie bei den meis-
ten seiner letzten Platten: Wenn die
Begleitband mit Stephen Scott am
Klavier, Bassist Bob Cranshaw, Po-
saunist Clifton Anderson und dem
Drummer Kobie Watkins das The-
ma intoniert, ist man geneigt, das
Ganze als Mainstream abzuhaken.
Aber dann löst sich Rollins’ Tenor aus
dem Geschehen, ein Strahlen huscht
über die Musik, auf einmal ist alles
anders. Denn nun hört man, warum
Rollins zu den kompromisslosesten
Köpfen des Jazz gehört. Er überbläst,
klingt so charmant und präsent wie
ein Reibeisen, überlässt nichts dem
schönen Schein. Ihm geht es immer
noch um die Substanz alles Sag-und
Blasbaren.
T.U.
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Rebekka Bakken
LITTLE DROP OF POISON
EmArcy/Universal CD (V.Ö.: 23.5.)___________ (61}
Es w ar die Idee des Orchesterlei-
ters: Tom W aits goes Big Band.
Doch Jörg Achim Keller, M arken-
zeichen: subtile A rrange-
ments, sucht den Waits’schen
„Straßenköter“-Sound nicht
ins Großformat aufzublasen.
Manches glättet er oder gibt
ihm einen W eill’schen M u -
siktheater-Touch, doch dank
schleppender Rhythmen und
gegenläufiger Bewegungen
im Gebläse bleibt im m er ein
titelgerechter „kleiner Trop-
fen Gift“ im Spiel. Rebekka
Bakkens Stim m e kann m e-
tallische
Schärfe
an n eh -
men und wird etwa von ei-
nem knorrigen Baritonsax
kontrastiert. Am ehesten be-
rührt sie, wenn sie sich ans
Klavier setzt, ganz ohne Big
Band („Tim e“).
klm
MUSIK
KLANG ★
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Z
Rebekka Bakken erweist
Tom Waits ihre Reverenz
130 STEREO 6/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problematisch I ★ schlecht